Ein Beitrag aus der Hersfelder Zeitung vom 27. Mai 2022
Schach gehört an der Wilhelm-Neuhaus-Schule und der Gesamtschule Obersberg zum Unterrichtsprogramm. Beide Einrichtungen sind seit Jahren anerkannte Deutsche Schachschulen. Die einzigen in Nord- und Osthessen.
Bad Hersfeld – Schach – Spiel oder Sport, das ist hier die Frage. Für Jochen Bleitner ist dieses kleine Wortspiel aber ganz schnell beantwortet. Das königliche Spiel, wie Schach gemeinhin auch bezeichnet wird, ist definitiv Sport. „Wer einmal mehrere Stunden bei einer Partie am Brett gesessen hat, der weiß, wie anstrengend und fordernd Schach sein kann. Das ist Stress pur bei all der Kopfarbeit“, erklärt der 82-Jährige, der früher selbst für den SK Turm Bad Hersfeld als Spieler aktiv war.
Seit 2003 ist er auch als Schachtrainer an zwei Bad Hersfelder Schulen unterwegs. Damals war der eigentliche Vater des Schulschachsports, der bereits verstorbene Professor Dr. Willi Beier, auf ihn zugekommen, dessen Enkelkind damals die Wilhelm-Neuhaus-Schule in Bad Hersfeld besuchte. Im damaligen Schulleiter Karl-Heinrich George fanden die beiden einen Mann, der Schach als Leidenschaft empfand.
Seit dieser Zeit wird der Schachsport an der WNS regelrecht gelebt. Bereits ein Jahr später nahm die Schule mit einer Jungenmannschaft, bestehend aus vier Spielern der 2. und 3. Klasse, an den Hessenmeisterschaften teil und belegte einen herausragenden vierten Platz. Ein Jahr später folgte dann der Landestitel. Über die Jahre hinweg wurde Bad Hersfeld zu einem Mekka des nordhessischen Schulschachsports. Der Grundstein wurde dabei an der WNS gelegt.
Fortgeführt wurde das Ganze an der Gesamtschule Obersberg (GSO), an die die Grundschüler nach der vierten Klasse wechseln. Lediglich an der Rotenburger Jakob-Grimm-Schule wird Schach ebenfalls ernsthafter betrieben. Auch dort steht es, wie an den beiden Hersfelder Schulen, auf dem Stundenplan. Arbeitsgemeinschaften gibt es an der Rotenburger JGS ab Jahrgangsstufe 2 bis hinauf zu Q4 in der gymnasialen Oberstufe.
An der WNS, der Bad Hersfelder Talentschmiede, findet Schachunterricht für alle Erstklässler statt. Daran nehmen alle der bis zu 80 Mädchen und Jungen teil. „Ziel des Unterrichts ist es, den Mädchen und Jungen Schach näherzubringen und alle so weit zu bringen, dass sie nach einem Jahr in der Lage sind, die Rochade zu beherrschen“, erklärt Klaus Bechtel (63), der seit sechs Jahre an der WNS die Kinder im Schach betreut. Er, der selbst nie aktiv Schach in einer Mannschaft gespielt hat, folgte auf Jochen Bleitner, der vor einigen Jahren mit einem Trupp Schachschüler von der WNS an die weiterführende GSO wechselte und dort noch heute das Zepter in Sachen Schulschach führt. Auch auf dem Obersberg steht Schach auf dem Stundenplan und wird dort beispielsweise als Wahlpflichtunterricht angeboten.
An der WNS bleiben in der 2. Klasse meist 50 Kinder übrig, die weiter Schach lernen wollen. Sie werden von Klaus Bechtel und seit einem Jahr auch von Michael Laudert (72) zum Bauerndiplom geführt. Verinnerlicht haben sollen die Kinder danach Spieß, Gabel und en passant.
In der 3. und 4. Klasse, der sogenannten Leistungsklasse, bleiben rund 20 Kinder pro Jahrgang übrig, die zunächst einmal das Bauerndiplom erreicht haben und auch tatsächlich weitermachen wollen. „Dann fängt es an, in die höheren Sphären des Schachs mit Eröffnung, Mittel- und Endspiel vorzudringen“, erklärt Bechtel. Ziel zum Abschluss ist das Springerdiplom. Wer danach noch nicht genug vom Denksport Schach hat, trifft an der GSO auf Coach Jochen Bleitner, der dann gezielt auf sportlichen Erfolg setzt. „Wir haben aktuell mit unseren Mädels in der WK II den Hessentitel gewonnen. Diese Truppe nimmt nun bis zum Wochenende an den Deutschen Meisterschaften in Berlin teil“, sagt Bleitner. Die „Mädels“ sind Rebeca Medina Gonzalez, Chantal Fizer, Michelle Heß, Helena Schöbel und Ariadne Medina Gonzalez.
Mit diesen Mädchen möchte Bleitner noch zwei bis drei Jahre weitermachen, um mit ihnen vielleicht sogar einmal den Titel eines Deutschen Meisters in die Festspielstadt zu holen. „Das ist natürlich ein Spaß, aber ein Platz unter der ersten fünf oder sechs bei deutschen Titelkämpfen ist alles andere als unrealistisch“, sagt Bleitner und erntet dafür Zustimmung von Klaus Bechtel. Bei den am vergangenen Sonntag in Berlin zu Ende gegangenen Deutschen Meisterschaften landeten die Mädels der GSO allerdings abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Ebenfalls erfolgreich bei den jüngsten Hessenmeisterschaften war auch die WNS. Die Jungen holten sich mit Maximilian Jacob, Hisham Alkatib, Malik Abdelmola, Matthias Stehr und Youssif Nouba den Titel. Und die Mädchen um Thaomy Gelbert, Medina Amiri, Jasmin Weber, Lena Sagrista Vila und Friederike Schöbel erreichten in der offenen Klasse den vierten Platz und durften sich als bestes Grundschulteam ebenfalls Hessenmeister nennen. „So haben wir sehr zum Ärger der vielen südhessischen Schulen wieder sehr erfolgreich abgeschnitten und drei von fünf möglichen Titeln nach Bad Hersfeld geholt“, freut sich Klaus Bechtel.
Der 63-Jährige findet es gerade gut, dass aufgrund der Schachförderung für alle Kinder ab der ersten Klasse auch Mädchen und Jungen teilnehmen können, die nur wenige Deutschkenntnisse haben oder in anderen Fächern schwache Leistungen erbringen. Ihnen würde durch das Schachspiel ein Anreiz geboten, eine neue Stärke zu entdecken und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Für all diese Kinder bleibt Schach sicherlich ein Spiel, das ihnen auf dem weiteren Lebensweg helfen wird, an bestimmte Aufgaben motiviert und selbstbewusst heranzugehen. Und einige wenige werden Schach in den kommenden Jahren vielleicht in einem Verein auch aktiv und ehrgeizig als sportlich heraufordern erleben.
Erfolgreich: Gleich drei von fünf Hessentitel im Schulschach gingen in diesem Jahr nach Bad Hersfeld. Bei den Gesamtschulen holten sich die Mädchen vom Obersberg (schwarze Shirts) den Titel in der WK II. Sie gewannen alle fünf Partien. In dieser Gruppe landeten die Grundschülerinnen der WNS auf dem vierten Rang – und damit besser platziert als die anderen Grundschulen. Auch das wurde mit dem Hessentitel belohnt. Für den Gesamterfolg sorgten die Jungen der WNS, die ihre vier Begegnungen ebenfalls siegreich gestalteten.
Text: Mario Reymond (Hersfelder Zeitung )
Foto: Mario Reymond